Ach du heilige Stinke!
Bei einer unserer aktuellen Fassprobenverkostungen stießen wir in der Fachschule Silberberg auf einen vinophilen Extremfall, der derzeit international als der große Trend gehypt wird: das Betonei. Wein aus einem über-dimensionalen Osterei, der grauenvoll schwefelig nach über-alten Ostereiern riecht, soll derzeit das Nonplusultra in Frankreich & Co. sein? Nicht dein Ernst, Reinhold Holler, oder? Der Oenologe vom Landesweingut Silberberg im Interview …
Holler: „Doch, in vielen großen Weinländern wird derzeit vermehrt mit dieser Weinmachart experimentiert. Vor allem die Querdenker und Naturweinmacher haben mit dem Betonei einen Trend aufkommen lassen, der wieder frischen Wind in die Szene bringt. Doch so spannend die Idee dahinter ist – es wird ein Trend bleiben und in keinster Weise die herkömmliche Weinproduktion ersetzen. Wir als Schule sind aber dazu verpflichtet, alle Spektren des Weinmachens aufzuzeigen und zu lehren.“
Der Weinbote: Warum Beton? Weil billig produzierbar?
„Beton ist ein poröser Werkstoff, das heißt luftdurchlässig und in verschiedensten Qualitäten am Markt anzutreffen. Aber der Beton, der zum Brücken bauen verwendet wird, ist von anderer Zusammensetzung als einer für einen Betonkeller oder gar für einen Weinbehälter. Große Sorge besteht in der Auswaschung von Schwermetallen, die sich ja im Industriezement befinden. Der Zement für den Lebensmittelbereich muss deshalb ein eigener sein. Dass bei den Betoneiern, die am Markt erhältlich sind, keine Gefahr besteht, haben mir Kollegen aus Deutschland versichert. Denn dort hat die Lebensmittelbehörde bereits umfangreiche Tests durchgeführt. Doch nicht nur die Schwermetalle im Beton sind kritisch zu betrachten, auch der Umweltgedanke muss hinterfragt werden. Für Zementherstellung wird sehr viel Energie verbraucht. Energie, die z. B. ein Holzfass nicht benötigt. Holz verhält sich klimaneutral, sofern mit den Holzabfällen befeuert wird. Diese fehlende Nachhaltigkeit steht für mich in großem Widerspruch mit dem Natural Wine-Gedanken, deshalb ist das Betonei noch keine wirklich runde Sache.“
Warum muss es die Ei-Form sein? Könnte der Behälter nicht auch rund, fassförmig oder rechteckig sein?
„Meines Erachtens steckt hier viel Philosophie über die diversen Strömungen im Behälter, die aufgrund der Form stattfinden. Fakt ist, dass die Natur nicht ohne Gründe Eier in dieser Form produziert, schließlich sind sie sehr stabil.“
Welches Aroma wird abgegeben? Spricht man zukünftig von „Noten aus dem kleinen, französischen Betonei“?
„Die Betonbehälter brauchen eine ,Trennschicht‘ zwischen Wein und Beton. Während in großen Zisternen die Oberflächen beschichtet sind – z. B. mit Kunstharz oder Glas – will man beim Betonei bewusst die ,Poren‘ offen halten. Als Trennung wird eine Calciumtartrat-Kristallschicht aufgebaut. Dazu muss der Behälter täglich so lange mit einer 20%igen Weinsäurelösung eingestrichen werden, bis keine Reaktionen – sichtbar durch Gasbläschen – mehr stattfinden. Das dauert drei bis vier Tage. Erst wenn die Oberfläche durch die Calciumtartrat-Kristalle glitzert, darf Wein eingefüllt werden. Im Betonei findet eine Reifung und Verstärkung der Mineralität statt. Im Gegensatz zum Barrique werden weder Aromen noch Phenole eingebracht.“
Kann man im Betonei Wein auch lagern oder dient es nur zur Gärung?
„Betonbehälter in dieser Art sind gasdurchlässig. Würde ein klarer Wein zur Lagerung eingefüllt werden, würde dieser in kürzester Zeit wegreifen. Aus diesem Grund wird in den Behältern gegoren und so die Hefe als wirksamer Schutz gegen Oxidation genutzt. Zusätzlich bietet sich die Idee an, mehr Tannin im Wein zu haben, indem eine teilweise Maischegärung stattfindet.“
Hand auf’s Herz: Ist das nicht einfach nur eine moderne Spinnerei?
„Wir – das sind unsere SchülerInnen der Weinbauklasse des 2. Jahrgangs, Kellermeister Klaus Fischer und meine Wenigkeit – sind der Meinung, es darf viele Wege zum Wein geben. Manches kann ruhig Spinnerei oder unlogisch sein – sowohl in Bezug auf Behälter als auch die Machart von Wein. Den Sauvignon aus der Ried Meletin haben wir auf der Maische spontan in einem Stahlbehälter angegoren, nach 14 Tagen abgepresst und zur Endvergärung in das Ei gefüllt. Durch die Angärung haben wir Phenole, aber auch viele Aromen aus den Schalen herausgeholt. Damit möchten wir Komplexität und Haltbarkeit im Wein unterstützen.“
Komplexität?! Also wir würden uns jetzt zu behaupten trauen: der stinkt ja grauenvoll!
„Kann man ein bisschen so sagen. Am Beginn der Entwicklung des Weins – sagen wir im ,Raupenstadium‘ entfalten sich Aromen, die für manche Weinfreunde abstoßend erscheinen. Bis zur ,Verpuppung‘ legen sich diese Töne von selbst. Es wird aber nach dem ,Schlüpfen‘ immer ein ganz anderer Wein sein – darauf freuen wir uns schon. Den Wein wird es ab Februar 2019 geben. Den Hauptcharakter tragen natürlich die Trauben und die stärkste stilistische Beeinflussung hat meines Erachtens die Maischegärung ausgelöst.“
Na dann freuen wir uns auch schon auf das „Schlüpfen“ 😉 Danke!
Text: Christina Dow