Erschienen im Moments Griaß di Ausgabe Oktober 2019:

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Traubenreigen

Herbstzeit ist Erntezeit – in den steirischen Weinbergen herrscht deshalb Ausnahmezustand. Die Früchte eines ganzen Arbeitsjahres werden endlich verarbeitet und reifen nach und nach zu Weinen heran, die international an der Spitze mitspielen. Wir waren bei der Weinlese dabei und begleiteten einen (harten) Tag lang Thomas Polz vom südsteirischen Weingut Primus. Ein Erlebnis.

Wer seit 135 Jahren Wein macht, muss wissen wie es geht. Und das tut man im Weingut Primus am Grassnitzberg, direkt an der slowenischen Grenze. Thomas und Christian Polz führen den Betrieb nun schon in fünfter Generation, vor rund zwanzig Jahren wurde vom Vater und Namensgeber Primus Polz übernommen. Der Weinbaumeister und der Kellermeister zeichnen für den Wein verantwortlich, Mutter Martha und Schwester Elisabeth kümmern sich um die Gästezimmer und die Buschenschank, die auf Voranmeldung für Gruppen geöffnet ist. Ein traditioneller Familienbetrieb also – der auf den ersten Blick urig und alteingesessen wirkt, sich bei genauerem Hinsehen aber als moderner Spitzenbetrieb auf einer der besten Lagen der Südsteiermark entpuppt.

Das Arbeiten mit dem Klimawandel

Mitte September 2019. 16 vollreife Hektar warten darauf, geerntet zu werden. Hier wachsen die klassischen, südsteirischen Weißweinrebsorten Welschriesling, Gelber Muskateller, Weißburgunder, Sauvignon blanc und Chardonnay. Einerseits am Grassnitzberg auf Spielfelder Schlier, andererseits am Zieregg auf einem Kalkboden, der sehr engmaschige und mineralische Weine entstehen lässt.

So lautete auch unser Treffpunkt: sieben Uhr, Ried Zieregg. Und ordentliche Schuhe, bitte. 15 weitere Erntehelfer waren ebenso anwesend, voll adjustiert und motiviert. „Alle unsere Erntehelfer kommen aus Slowenien, es sind jedes Jahr fast dieselben Leute. Sie kennen sich mittlerweile sehr gut aus. Ich rechne als Faustregel immer mit einer Person pro Hektar – damit kommen wir seit Jahren gut durch“, erklärt Thomas Polz. Warum eigentlich ausschließlich aus dem (nur wenige Meter entfernten) Nachbarstaat? „Weil es den Leuten in Österreich zu gut geht, die würden das nicht machen. Die Lese ist schwere Arbeit und körperlich eine echte Herausforderung. Dazu wird nach Kollektiv bezahlt. Das ist selbst für heimische Studenten nicht attraktiv. Die gehen lieber kellnern, bekommen mit Trinkgeld das Doppelte und müssen nicht körperlich schwer arbeiten. In Slowenien hat das Erntehelfen Tradition und das Team arbeitet sehr gut.“

Doch bevor es damit los geht, die Früchte der letzten sechs Monate Arbeit zu ernten, wollen wir wissen, welches die großen Herausforderungen im Weinbau das ganze Jahr über sind. Frost? Regen? Hagel? „Von allem ein bisschen“, räumt der Winzer gleich ein. „Wobei die Frostproblematik eine relativ neue ist. Erst im Jahr 2016 gab es erstmalig große Schäden – seither ist es Jahr für Jahr ein Thema und wird es wohl auch bleiben.“ Verantwortlich dafür sei definitiv der Klimawandel. „Die Winter werden immer wärmer, der Austrieb beginnt zehn bis 14 Tage früher als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Damit erwischt der Frost im April immer wieder junge Triebe. Frost im April gab es vor zehn Jahren auch schon, aber damals konnte er noch keinen Schaden anrichten, weil es noch keine Triebe gab. Das ist und wird ein großes Problem unserer Zeit.“ Dazu komme noch die Gefahr von Hagel im Hochsommer. „Gott sei Dank wird unser Gebiet gut von Hagelfliegern gesichert. Seit letztem Jahr haben wir auf einem Hektar auch ein Hagelnetz über den Reben, 2020 werden wir noch drei oder vier Hektar einnetzen.“

Regen ist natürlich auch immer ein schwieriges Thema. Zu wenig darf es nicht sein, sonst wächst der Wein zu wenig an, zu viel ist aber auch nicht gut, denn je mehr es regnet, desto dünner wird die Beerenhaut. „Vor allem in der vollen Traubenreife, gegen Ende der Lese, kann zu viel Regen ein großes Problem werden“, erklärt Thomas Polz. „Durch die Wassertropfen können die reifen Trauben aufplatzen und der Fäulnispilz Botrytis kann sich ausbreiten. Deshalb hoffen wir, dass es jetzt die kommenden Wochen so trocken wie möglich bleibt.“

Denn die Trauben des heurigen Jahrgangs sehen sehr gut aus, mit ein bisschen Wetterglück wird das auch so bleiben. „Zurzeit ist das Klima ideal: warme Tage, kühle Nächte – das bringt viel Frucht und Aroma in die Trauben“, freut sich der Weinbaumeister. Zeit für die Lese also. Aber: Woher weiß man, an welchem Tag man starten soll? Auch hier gilt: Arbeiten mit dem Wetter! „Der genaue Lesestart ist Gefühlssache. Man achtet auf die Wetterprognosen und kontrolliert ständig den Reife- und Gesundheitszustand der Trauben. Man misst Säure, Zucker und PH-Wert. Ich sag immer: Messen und Schauen – darauf kommt es an!“

Große Leistungen auf steilen Hängen

Wenn man einmal selbst bei der Weinlese mit dabei war, weiß man jede einzelne Flasche Wein, die man öffnet, umso mehr zu schätzen. Versprochen. Denn Hut ab vor dieser körperlichen Schwerstarbeit, die sich über drei bis vier Wochen zieht.

Von sieben bis zwölf wird durchgearbeitet. Einer rechts, einer links vom Weinstock wird parallel die unzähligen Zeilen hinunter gearbeitet. Jede gesunde Traube landet in kleinen Weinlesekisten, faule oder unreife werden abgeschnitten bzw. lässt man hängen. Zwischen den schmalen Zeilen fährt immer wieder jemand auf einem kleinen Traktor mit einer großen Palettenbox, um das Traubenmaterial einzusammeln. Dabei wird darauf geachtet, dass nicht zu viele Trauben auf einmal darin landen, um nicht eine frühzeitige Pressung zu verursachen. Die Palettenboxen werden stets im Schatten zwischengelagert oder gleich in den Keller gebracht, damit keine Gärung startet. „Je nachdem wie viele Trauben wir innerhalb der ersten Stunden schaffen, wird bereits zu Mittag einmal gepresst“, erklärt Thomas Polz. „Wenn wir stark aussortieren müssen oder das Gelände sehr steil ist, warten wir bis am Abend mit der Pressung.“

Apropos steil: Es macht Sinn, zwischendurch immer wieder die Seite am Rebstock zu wechseln, um seinen Körper „auszugleichen“. Die Steilheit des Geländes, kombiniert mit permanentem Bücken, Heben, Schleppen, Bergauf- und Bergabgehen verlangt einiges ab. Dass jede einzelne Traube von Hand gelesen wird, versteht sich im Weingut Primus von selbst: „Wir produzieren ausschließlich DAC-Weine – das bedeutet 100 % Handlese.“

Kurze Erholung gibt es dann um zwölf Uhr mittags – bei einer gemeinsamen Jause und erfrischenden Getränken. Die Stimmung ist gut, es werden immer wieder Scherze gemacht und gelacht (zumindest hätten wir es so vom ungewissen Slowenisch sinngemäß übersetzt). Nach rund einer dreiviertel Stunde geht es weiter – und das bis fast 18 Uhr. Dann beginnt erst die Arbeit im Keller. Sobald die Trauben hier vom Traktor geladen werden, wird gerebelt, also die Beeren von den Stielen getrennt. Die entstandene Maische landet in der Presse, der Pressvorgang dauert rund zweieinhalb Stunden. Danach bleibt der Trester übrig und die Flüssigkeit, also der Traubensaft, landet im Tank. „Nach rund drei bis fünf Tagen beginnt die Gärung, diese dauert dann wiederum drei bis fünf Wochen“, so der Winzer. Nach der Gärung wird „abgezogen“, also der Jungwein vom Geläger getrennt. Dann kommt er in einen neuen Tank und wird je nach Wunsch und Vorstellung gefertigt. „Unser Junker zum Beispiel wird dann sehr bald filtriert und abgefüllt. Unsere Riedenweine bekommen hingegen lange Zeit, landen oft auch noch im Holzfass und bleiben dort bis zu einigen Jahren. Jeder Wein ist anders und wird auch anders behandelt, das ist das Tolle an unserem Beruf.“ Dass Thomas Polz es während der Lesezeit oft erst um Mitternacht ins Bett schafft und vor sechs Uhr schon wieder Tagwache ist, stört nicht. „Klar, die Lesezeit ist unsere arbeitsintensivste Zeit. Es ist Ausnahmezustand, alles andere im Betrieb steht für einige Wochen hinten an. Aber es ist auch die schönste Zeit – endlich ist ein Ergebnis unserer Arbeit zu sehen!“

Schön können wir unterstreichen. Es war definitiv der schönste Arbeitsplatz seit langem. Aber auch der anstrengendste.

Dass das, was in der Steiermark produziert wird, an der Weltspitze mithalten kann, haben schon zahlreiche Auszeichnungen und Trophäen bei internationalen Verkostungen gezeigt. Thomas Polz: „Der steirische Wein ist definitiv weltweit ganz vorne dabei! Das Problem ist nur, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern ein sehr kleines Weinland sind, deshalb tun wir uns mit der weltweiten Präsenz noch ein bisschen schwer. Aber man kann ganz klar sagen: Wir sind klein, aber oho! Und ich bin froh, in keiner großen Weinbauregion zu leben, sondern hier im wunderschönen Steirerland.“

Kontakt & Infos

Weingut Primus
Am Grassnitbzerg 15, 8472 – Grassnitzberg/Spielfeld, www.primus.cc

Wein Steiermark
Hamerlinggasse 3, 8010 Graz, www.steirischerwein.at

Moments Magazin
www.momentsmagazin.at

Text: Christina Dow
Fotos: Apresvino