Ran an die Reben!
Jetzt ist es also soweit. Der Weinbote goes Weinbauer. Der lang ersehnte Wunsch, einen eigenen Wein zu produzieren und ihn 21 Monate (und darüber hinaus) in Weingarten und Keller zu begleiten, geht in Erfüllung. Kongenialer Partner dieses Projekt: das Weingut Potzinger. Willkommen mitten im Rebenhimmel!
Über all die Jahre steigerte sich meine Ehrfurcht vor der Arbeit eines Weinbauers ins Unermessliche. Ich fragte mich immer wieder, wie viel (oder wenig) Prozent der Bevölkerung wohl schätzen können, wie viel Arbeit dahinter steckt, bis der Wein in der Flasche oder gar bei ihnen am Tisch landet. Wie viele Monate harte Arbeit mit teuren Geräten und Maschinen, wie viel Schweiß, lange Nächte oder unwetterbangende Stunden … Und wie viele Menschen wissen eigentlich, dass ein Wein nun mal keine 2, 3 oder 4 Euro kosten kann, wenn er auch nur annähernd mit Handarbeit, Sorgfalt und Qualitätssinn gemacht wurde!?
Nicht nur durch meine Weinlese-Einsätze und mein erweitertes Hintergrundwissen bekam ich immer mehr die Lust auf einen eigenen Wein, auch mein Drang, im Leben alles immer ein bisschen selbst mitgestalten zu können, tat das Notwendige dazu.
Und hier stehen wir nun. In der Ried Kaltenegg im wunderschönen Sulztal in der Südsteiermark. Vor mir das slowenische Hügelland, hinter mir Stefan Potzinger. Der mir mit einer professionellen Selbstverständlichkeit erklärt, wie meine Reben nun geschnitten werden müssen.
Mit dem Weingut Potzinger von Stefan und Heidi Potzinger fand ich einen kongenialen Partner für mein Wein-Projekt. Unsere Philosophien von Wein bzw. vom Leben sind ähnlich – qualitätsmäßig muss es immer an die Spitze gehen, Ehrlichkeit und Menschlichkeit haben oberste Priorität und der Spaß darf bei der Sache auch nicht zu kurz kommen. Und so stellte mir Stefan Potzinger einen Teil seines Gelben Traminers der Ried Kaltenegg zur Verfügung. Schon hatte ich mein Baby.
Rund ein Drittel Hektar, also 3000 m2, ist mein Baby groß – wobei es mit seinen 15 Jahre alten Rebstöcken wohl schon ein Teenager ist. Es wächst auf einem Opok-Kalk-Gemisch und besticht durch eine kühlere Südlage. So viel zu den Hard Facts.
Was daraus werden soll? Nun, geplant ist ein sehr trockener Riedenwein (Potzingers Leonhard 2016 aus derselben Riede räumte schon große Auszeichnungen ab), der es sich nach der Angärung im Stahltank knapp ein Jahr im zweitbefüllten 500-Liter-Fass bequem machen darf. Rund 600 Flaschen sollten im Frühjahr/Sommer 2021 da stehen und im Herbst/Winter 2021 in den Verkauf gehen – natürlich unter einem eigenen Namen. Wer kreativ ist und Ideen für die Bezeichnung des ersten Weinboten-Weins hat, darf gerne Ideen zuschicken: post@derweinbote.at … Bei einem Treffer gibt’s die erste Kiste auf‘s Haus 😉
Die Sorte Gelbe Traminer ist für mich besonders spannend, weil doch eher selten. Anders als andere Traminer besticht der Gelbe durch mehr Frische, Zitrusaromen und ein großes Aromenspektrum. In Kombination mit dem kühleren Hang der Ried Kaltenegg eine für mich äußerst vielversprechendes Unterfangen.
Jänner: das Weinjahr beginnt
Zu Jahresbeginn in so ein Projekt einzusteigen macht natürlich Sinn. Das Weingarten-Jahr im gesamten Zyklus mitzuverfolgen war eines der Dinge, die ich unbedingt erleben wollte. Den gesamten Verlauf über das steirische Weinjahr in Garten und Keller finde ihr übrigens HIER!
Und der Beginn heißt für mich: Reben schneiden – learning by doing. Stefan Potzinger erklärt kurz und präzise worauf es beim Schneiden ankommt: Die Trauben wachsen nur auf neuen Trieben (am besten auf zweijährigem Holz), daher heißt es, radikal altes Holz zu entfernen. Bis auf zwei kräftige Triebstücke, ca. bleistiftdick. Die lässt man ca. einen Meter lang stehen, denn aus den darauf befindlichen, schlafenden Augen (ca. bis zu zehn) entstehen im Laufe der Saison die neuen Fruchttriebe.
An dieser Stelle kommt von euch wahrscheinlich die Frage: Und woher weiß ich, welche zwei das sind? Als Lieblingsantwort kommt: das ist Gefühlssache, das muss man sehen. Und ja, siehe da – nach vier, fünf Stöcken und fachmännischer Anleitung bekomme ich tatsächlich ein Gefühl, worauf es beim Schneiden ankommt. Stark, saftig, nicht trocken müssen die beiden Triebe sein. Wenn man sich nicht sicher ist, schneidet man bei rund einem Meter ab und sieht sich die Schnittoberfläche an. Grün muss sie sein, nicht braun und tot. Dann ist es wichtig, dass die Triebe zwischen den beiden Spanndrähten wachsen, nur so lassen sie sich danach in der richtigen Höhe binden. Apropos: Beim Schneiden sollte man natürlich auch schon ans Binden denken, sprich: ein Trieb wird nach rechts, einer nach links gebunden. Also gilt es, idealerweise welche zu finden, die von Natur aus in zwei Richtungen wachsen. Sonst drohen sie beim Binden oder später zu knicken. Und: basisnah schneiden! Heißt: Triebe stehen lassen, die möglichst nah am Hauptstamm wachsen.
Nicht schrecken, da wird verdammt viel rundherum weggeschnitten. Da sieht der Stock auf einmal richtig leer aus. Aber das ist natürlich Sinn der Sache. Durch den starken Rückschnitt wird zwar der Ertrag reduziert, aber dafür steigt die Qualität, weil der Strauch weniger Reben ernähren muss. Und das wollen wir heutzutage im modernen Weinbau natürlich: Qualität statt Quantität.
Nach rund einer halben Stunde hab ich es schon relativ gut heraußen und schnipple mich (natürlich nur mit Stefans Dauerkontrolle, alleine trau ich mir das noch nicht zu) motiviert durch „meinen“ Weingarten. Doch natürlich wird es komplizierter, als wir in die Tiefe gehen. Stefan erklärt mir, welche Triebe ich über dem zweiten Auge stehen lassen soll, damit dann hier im nächsten Jahr ein neuer entstehen kann, den wir dann verwenden. Das ist mir noch ein bisschen zu viel Zukunftsvision fürs erste Mal. Denn für den Start war das viel Info auf einmal, aber ein richtig spannendes Erlebnis. Morgen geht es weiter beim Schneiden – mit Silab.
Tag 2 – Schneiden und Rausziehen der Reben
Silab ist (geschätzte) knappe 30 Jahre alt, kommt aus Afghanistan und ist ein echter Sunnyboy. Vor fünf Jahren kam er als Flüchtling nach Österreich, seit zwei Jahren arbeitet er im Weingut Potzinger. Obwohl er in seiner Heimat Informatik (fast fertig) studiert hat, macht ihm die Arbeit mit Wein – egal, ob im Weingarten, im Keller oder beim Ausliefern – viel Spaß. Und man merkt: er kennt sich richtig gut aus.
Mit Silab gehe ich wieder Stock für Stock durch und freue mich, dass ich immer mehr die richtigen Triebe „errate“. Er erklärt mir auch, dass es wichtig ist, bevor man die Schere ansetzt, immer einen Stock voraus zu schauen. Denn wenn dieser verletzt ist oder keine gute Triebe mehr hat, sollte man auf dem aktuellen Stock drei Triebe stehen lassen, damit man einen als „Reserve“ hat und keinen Ertragsverlust hat. Und er zeigt mir, dass ich die Ranken und Geiztriebe bei den beiden ausgewählten Reben immer „weg putzen“ muss.
Nun kommt auch Hebert Potzinger in den Weingarten, Stefans Vater, der seit vielen Jahrzehnten in den Weingärten arbeitet. Beim ihm sieht das Schneiden so richtig einfach aus und er macht es auch in einem Tempo, dass ich nur so ins Staunen komme. „Das macht die Erfahrung“, lacht er. Und einen Tipp versuche ich ihm auch noch zu entluchsen. „Altes weg, damit Neues entsteht.“ So kann man Schneiden auch auf den Punkt bringen. Wenn’s nur so einfach wäre.
Mit dem Schneiden meiner gigantischen 0,15 Hektar fertig, geht es weiter mit einer nicht ganz so geistig herausfordernden Arbeit: dem Rausziehen der abgeschnittenen Reben. Diese werden einfach in die Mitte zwischen den Rebzeilen geworfen, dort werden sie später einmal gemulcht und in die Erde eingearbeitet. Naturdünger sozusagen. Aus ökologischen Gründen wirft man sie nur in jede zweite Zeile, dann spart sich der Traktor die halben Wege.
Jetzt schaut „mein“ Weingarten richtig schick aus – frühlingshaft schlank und strahlend frisch. Die ersten Arbeiten sind nun erledigt, bevor es in den kommenden Wochen ans Binden und Nachspannen der Drähte geht. Ich halte euch am Laufenden.