Im Interview: der neue Sommelierverein-Präsident Helmut Gramer

Helmut Gramer, einer der ganz großen Weinkenner der steirischen Szene, Weinakademiker und seit Beginn an Journalist beim Weinboten, ist seit 18. Juli 2023 der neue Präsident des Steirischen Sommeliervereins. Wir baten ihn zum Interview.

Helmut, seit einigen Wochen bist du nun Präsident des Steirischen Sommeliervereins und hast damit Sabine Flieser-Just in ihrem langjährigen Amt abgelöst. Wie kam es dazu, wie groß ist die Ehrfurcht und wie riesig die Motivation auf Neues?

Gramer: Sabine hat den Steirischen Sommelierverein lange Jahre geleitet. Als ich vor sieben Jahren nach Graz gekommen bin, kurz darauf Mitglied  wurde, hat sie mich gefördert und mir auch viele Kontakte ermöglicht. Ich bin dann gleich in den Vorstand gekommen und vor drei Jahren habe ich dann das Amt des Vize-Präsidenten übernommen. Da, aus beruflichen Gründen, Sabine nicht mehr die nötige Zeit für den Verein aufbringen konnte, war es nur logisch, dass ich die Leitung übernehme. Ehrfurcht schwingt im Hintergrund vielleicht etwas mit, aber die Motivation steht hier auf jeden Fall im Vordergrund. Da mich Vergangenes sowieso viel weniger als das Neue interessiert – Jahresrückblicke finde ich zum Beispiel äußerst langweilig – blicke ich mit viel Freude in die Zukunft.

 

Was sind im allgemeinen die Tätigkeiten des Vereins, wofür ist er da und wo will er hin?

Gramer: Der Verein versteht sich als Anlaufstelle für alle, die mit Wein in Verbindung stehen. Ob als Sommelier, im Weinhandel oder auch als privater Weinfreund, wir haben für alle ein offenes Ohr und bemühen uns sie zu unterstützen. Wir bewerben in unseren Newslettern auch alle Arten von Weinveranstaltungen, wie jene der Wein Steiermark, von Weinbaubetrieben oder Weinbauvereinen bis hin zu gastronomischen Veranstaltungen. Ferner bemühen wir uns auch Sommeliers für Veranstaltungen wie „Rolling Pin“, „Die lange Tafel“ oder auch den Oberlandlerball zur Verfügung zu stellen. Sehr am Herzen liegt uns auch das vermitteln von Weinwissen, jetzt nicht als Ausbilder – dazu ist in der Steiermark die WIFI zuständig – aber durch Weinverkostungen und Seminare. In Zukunft sind auch Trainings in Sachen Verkosten geplant.

 

Was sind deine persönlichen Ziele im Sommelierverein?

Gramer: Der Verein soll natürlich wachsen, besser und bekannter werden. Ich halte aber wenig von offensiver Mitgliedswerbung. Ich will eher durch hochwertige Veranstaltungen und gute Arbeit neue Mitglieder für den Verein gewinnen. Und hier sind wir beim Kernpunkt des Vereines, seinen Mitgliedern. Diese stehen an erster Stelle. Wir im Vorstand machen die Arbeit aber die machen wir nicht für uns, sondern für die Mitglieder. Jedes Mitglied soll das Gefühl haben, für seinen Jahresbeitrag mehr zu bekommen, als es erwartet. Durch diesen Beitrag bekommt es jedes Jahr eine Reihe von hochklassigen Weinverkostungen geboten und darüber hinaus erhält es stark verbilligte Eintritte zu Veranstaltungen der Wein Steiermark. Sehr positiv sehe ich auch unsere Zusammenarbeit mit der relativ neuen Sektion Profi, welche mit viel Engagement und sehr erfolgreich von René Kollegger geleitet wird. Dadurch haben wir die Reichweite des Steirischen Sommeliervereins markant erhöht und sind so auch noch tiefer in die Gastronomie vorgedrungen.

  

Wie siehst du den Werdegang des steirischen Weins in den letzten Jahren? Wie hat er sich verändert? Was waren/sind die positiven Aspekte, was die negativen oder herausfordernden?

Gramer: Die Qualität hat enorm zugelegt und von der Stilistik her ist er internationaler geworden. War einst die Frucht das bestimmende Element, so wird diese von immer mehr Weingütern zurückgenommen. Man setzt eher auf Struktur und wählt einen reduktiveren Ausdrucksstil. Die Weine brauchen daher in der Flasche oft etwas länger um sich zu entwickeln. Auch hat er  hat an Vielfalt gewonnen, nicht zuletzt auch durch die immer größere Bandbreite im sogenannten Naturweinsektor. Positiv sehe ich den vorsichtigeren Einsatz von neuen Holzfässern und die Hinwendung von der Sorte zur Herkunft. Herkunft ist immer wichtiger als die Rebsorte, aber das soll nicht heißen, dass die Frucht weniger wichtig ist. Die Frucht ist mit der Herkunft untrennbar verbunden und eine der ganz großen Stärken der Steiermark. Und genau hier erkenne ich auch einen leicht negativen Aspekt. Mehr und mehr Weinbauern, entweder auf der Suche nach Natürlichkeit, nach internationaler Akzeptanz oder auch nach Herkunft, arbeiten bewusst oder unbewusst gegen diese unvergleichliche steirische Frucht. Teilweise scheint man den Eindruck zu gewinnen, dass sie negativ gesehen wird. Durch den in letzter Zeit sehr forcierten Ausbau auf der Grob- bzw. Feinhefe verliert man viel von dieser Frucht, die Weine werden reduktiver, zurückhaltender und verschlossener. Durch diese gewollte Reduktion erhält man Noten nach Feuerstein und Rauch, welche vor einigen Jahren sehr en vogue waren, mittlerweile aber wieder etwas abnehmen. Hier sollte man aufpassen, dass man nicht einem Trend hinterherläuft. Die Steiermark scheint mir stark genug, eigene Trends zu setzen. Die Herausforderung besteht wohl darin, die Stärken der Steiermark, die in  Klarheit, Präzision und Saftigkeit liegen, so mit internationaler Stilistik so zu verbinden, dass etwas neues entsteht, aber die Herkunft klar zum Vorschein kommt. Negativ aufgefallen sind sicherlich die Zunahme von sogenannten Weinfehlern. In immer mehr Weinen findet man störende und unpassende Hefenoten, oxidative Aromen oder eine viel zu hohe flüchtige Säure. Der Grund dafür liegt zu allererst im zu geringen Schwefelzusatz.  Ich bin bei Gott kein Fan von hohen Schwefeldosen, aber des öfteren habe ich mir schon gedacht, dass dieser oder jener Wein, mit nur einer kleinen Zugabe von Schwefel zum richtigen Zeitpunkt, enorm an Qualität gewonnen hätte.

Wie würdest du den steirischen Wein im internationalen Vergleich in wenigen Worten beschreiben?

Gramer: Ein klarer, frischer, authentischer Wein mit kompakter Frucht. Er verfügt über Unbekümmertheit und Leichtigkeit zeigt aber auch genügend Struktur und Gewicht um auch in der weiten Weinwelt  bestehen zu können. Er verleugnet seine Herkunft nicht, spielt mit internationalen Einflüssen, hat aber seinen Qualitätsplafond noch nicht erreicht.

 

Wo siehst du ihn in 20 Jahren?

Gramer: Sehr weit! Die Qualität wird sich noch steigern. Wir machen ja jetzt schon Weine, welche sich international mit den Besten messen können. Von der österreichischen Weinkritik werden sie vielleicht etwas zu hoch gelobt, aber im Grunde ist das ja verständlich. So wie ich die steirischen Winzer kenne, werden sie sich auch nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Eines wird uns aber immer fehlen, die Menge. Dadurch wird sich die internationale Wahrnehmung wohl in Grenze halten.

 

Wie stehst du zu den Themen …

… DAC-System?

Gramer: Das dreistufige DAC-System ist ungemein wichtig und besonders die Stufe der Ortsweine wird uns in Zukunft noch viel Freude bereiten. Dadurch wird die Herkunft viel mehr in den Mittelpunkt gerückt. Herkunft ist das wichtigste überhaupt, den nur sie ist nicht auswechselbar. Natürlich gibt es auch eine Schattenseite. Durch das DAC-System und der mit einhergehenden Prüfnummer sind natürlich gewisse Parameter zu erfüllen. Diese sind in gewissen Bereichen vielleicht etwas zu eng gesetzt und berauben somit einigen Winzern, die im Natural-Wine-Sektor oder in dessen Umfeld arbeiten, eben dieser Herkunft. Gewisse Richtlinien, wie das Einfordern von Sortentypizität oder gewollte Reduktion als Böckser zu bezeichnen, wären hier zu überdenken. Über diese Thematik wird wohl schon seit ca. 10 Jahren debattiert, aber die Mühlen mahlen langsam.

… Riedenklassifizierung?

Gramer: Nachdem nun vor kurzem auch die Steiermark als letzte der Weinbauregionen seine Rieden abgegrenzt hat, ist nun mit der Riedenklassifikation ein weiterer, wichtiger Schritt gesetzt worden. Damit werden in Zukunft die privatrechtlichen Klassifikationen der STK, der Vulkanlandwinzer und der ÖTW irrelevant. Die kommenden offiziellen Klassifikationen erhalten dadurch eine viel höhere Wertigkeit. Das Österreich hier nach Frankreich federführend ist, erhöht unser Ansehen im Ausland ungemein.

… Bio/Biodynamie/Naturwein?

Gramer: Bio/Biodynamische Weine sind ohne Zweifel die Zukunft, da führt kein Weg daran vorbei. Wir hier in Österreich bewirtschaften ja schon über 20% der Weingärten in dieser Art und Weise. Zwischen Bio/Biodynamisch und Naturwein sollte man aber unterscheiden. Bei ersteren bemerkt man den Unterschied zu sogenannten konventionellen Weinen im Glas nicht unbedingt, beim Naturwein meist sehr wohl. Beim Naturwein greift man ja viel weniger beim Ausbau des Weins ein und dadurch arbeite man unter recht riskanten Bedingungen. Schwierige und stockende Gärungen sind hier nicht selten und hinterlassen dann sehr oft im fertigen Wein ihre Spuren. Auch trifft man hier des öfteren auf eine hohe flüchtige Säure, oxidative Noten oder dergleichen. Diese Art von Wein muss man mögen. Es gibt natürlich großartige Weine darunter, aber das Gegenteil ist bei dieser Art der Weinbereitung wesentlich öfter anzutreffen.

… Schaumweine?

Gramer: Schaumweine haben eine große Zukunft. Hannes Harkamp macht eine wunderbare Palette und auch andere Weingüter lassen aufhorchen. Das Weingut Tement hat unlängst einen ganz hervorragenden Blanc de Blancs Große Reserve auf den Markt gebracht und auch die Schilchersekte haben sich  in ihrer Qualität extrem verbessert. Und dann noch die Pet-Nats. Die von Tamara Kögl muss man unbedingt probiert haben!

Was gibst du jungen Leuten mit, die Sommelier werden wollen? Was ist das tolle an diesem Beruf, welche Aspekte umfasst er?

Gramer: Alles auszuprobieren was mit dem Thema Wein in Verbindung steht. Eine Sommelier-Ausbildung zu absolvieren ist sicherlich ein erster Schritt und hier kann man durch die von der ASI (Die weltweite Vereinigung der Sommelierverbände) angebotenen weiterführenden Ausbildung noch sehr viel erreichen. Aber unbedingt sollte man auch einmal den Blickwinkel ändern und bei einem Weingut arbeiten oder auch im Weinhandel. Absolut wichtig ist auch das Lesen von Magazinen und Büchern zu diesem Thema. Die Beherrschung der englischen Sprache ist hier auf jeden Fall von großem Vorteil, gibt es doch hier eine Unzahl von hervorragenden Büchern zu diesem Thema.  Das Angebot an guten deutschsprachigen Weinbüchern gleicht ja eher einer Wüstenlandschaft. Ausgenommen seien hier die Weinmagazine, da gibt es bei uns durchaus eine gute Auswahl. Das tolle an diesem Beruf ist, dass dir die ganze Welt offen steht. Gute Sommeliers werden überall gesucht, man kann an den wunderbarsten Orten arbeiten und man trifft viele enthusiastischen und interessante Menschen. Es ist auch ein ungemein abwechslungsreicher Beruf, denn nicht nur die Arbeit am Gast ist hier was zählt. Man kann bestenfalls auch seinen eigenen Weinkeller aufbauen, hat die Möglichkeit viele Winzer zu besuchen und erhält einen ungemein tiefen Einblick in die Weinwelt. Auch kann man in weiterer Folge durch das abhalten von Seminaren, Weinverkostungen und als Verkoster bei Weinbewertungen, seinen Horizont stark erweitern.

Du bist seit Beginn an im Team des Weinboten und schreibst laufend Beschreibungen zu den „Weinen der Woche“. Mit Wortwitz und viel Hintergrundwissen. Woher nimmst du diese Leidenschaft und dieses Können. Wie war dein Werdegang (kurz beschrieben)?

Gramer: Ich habe immer viel gelesen und Musik war und ist eine meiner großen Leidenschaften. In jungen Jahren habe ich in diversen Rockbands gespielt und bin dann auch einmal für ein Jahr nach Hollywood gegangen um dort Gitarre zu studieren. Auf dem Hinflug habe ich damals schon das führende österreichische Weinmagazin Falstaff gelesen. Na ja, nachdem ich es nicht geschafft habe, als Rockmusiker meinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist es nun doch meine zweite Leidenschaft geworden, der Wein. Dazwischen liegen allerdings noch Jahrzehnte, welche ich in der Gastronomie gearbeitet habe. Aufgewachsen bin ich ja als sogenanntes Gasthauskind. 2013 habe ich dann meine Ausbildung zum Weinakademiker begonnen, die ich 2017 abschloss. Ein Jahr vorher begann ich  bei WEIN & CO zu arbeiten und wechselte damit vollständig in die Weinwelt. Da arbeite ich noch immer und das mit großer Leidenschaft. Ich fand mich auch sehr schnell in der Weinwelt zurecht, arbeitete für die ÖWM, die Wein Steiermark, Rolling Pin und anderen Institutionen und bin gerne als Verkoster bei der AWC, Salon Austria oder Falstaff mit dabei.

Und zu guter Letzt die Klassikerfrage: Welchen Wein trinkst du derzeit am liebsten? Und von welchem Sommelier lässt du ihn dir am liebsten einschenken?

Gramer: Was ich derzeit immer wieder trinke und mich auch begeistert ist der Welschriesling Ried Hochgrassnitzberg 2020 vom Weinbau Christoph Polz. Einschenken lass Ich mir den am liebsten von René Kollegger, Sommelier beim Weingut Maitz.

Wir danken für das tolle Gespräch!

Fotos: Privat
11. 9. 2023